GLM-Music Der Unsichtbare
August Zirner als Sprecher und die hr-Bigband unter der Leitung von Jim McNeely greifen den hochaktuellen Inhalt des Romans "Der Unsichtbare" von Ralph Ellison auf und präsentieren ihn als Melodram aus Jazz und gesprochenem Wort.
Was begeisterte Zuschauer auf der Bühne live erleben konnten, ist nun auf Tonträger verfügbar. Die eindrucksvollen Texte, gelesen, nein gelebt von August Zirner fesseln zusammen mit der Musik von Jim McNeely jeden Hörer. Sinn entsteht erst im Klang – und im Rhythmus. Was jemand uns mitteilt, verstehen wir durch Melodie, Akzent und Zeitmaß. Dies gilt nicht nur für die musikalische Mitteilung. Auch sprachliche Verständigung ist nur im Klang und Rhythmus möglich. Sogar Geschriebenes erklingt im Takt, wenn der Leser im Kopf das gesprochene Wort hört. Umstritten ist, ob sinnerfassendes Lesen überhaupt uneingeschränkt möglich ist, ohne dass der Leser die Worte vor seinem inneren Ohr formt: Linguisten haben die Bedeutung so genannter impliziter Prosodie nachgewiesen. Sprache bezwingt durch ihren Rhythmus, sei er gleichmäßig oder vertrackt, diszipliniert marschierend oder entspannt swingend, mild schwebend oder gewaltsam und ungehalten.
Ralph Ellison spielt es vor in seinem Roman "Invisible Man". Ein junger Mann, ein Schwarzer, erfährt sich selbst als einen Unsichtbaren, den seine Mitmenschen nicht wahrnehmen. In einem Akt von hoher Symbolkraft beschließt er, nun auch real unsichtbar zu sein, und zieht sich für immer zurück in einen Kellerraum, der von unzähligen Glühbirnen erleuchtet, aber von Außenstehenden nicht einzusehen ist. Ralph Ellison erzählt mit einer rhythmischen Kraft, die selbst zu Musik wird. Nicht nur ist die Sprache tragendes Gestaltungsmittel des Romans, das Sprechen selbst wird zum Leitmotiv.
Sprache wie Bebop, im Metrum der Auflehnung gegen eine Welt des ebenso selbstverständlichen wie erniedrigenden Rassismus. Mitten in den Vierzigerjahren begann Ralph Ellison an dem Buch zu arbeiten, in einer Zeit, als Charlie Parker, Max Roach und Dizzy Gillespie musikalische Zeichen schwarzer Unabhängigkeit setzten. Der Rassismus ist allgegenwärtig in "Invisible Man". Das Buch ist eine Anklage gegen ihn, aber es ist auch weit mehr. Es dreht sich um die Frage der Unsichtbarkeit in allen ihren Facetten, um das Leben eines nicht wahrgenommenen Menschen und um das Entwicklungspotenzial des Individuums in der Gesellschaft.
August Zirner und Jim McNeely kennen sich, seit Zirner, der in den USA aufgewachsen ist, sich als Jugendlicher von Jim McNeely in die Geheimnisse der Jazzimprovisation einweihen ließ. Für dieses Projekt arbeiteten die beiden eng zusammen: Zirner wählte die Textpassagen aus und Jim McNeely komponierte Musik für das Jazz-Melodram.
Ergänzt wird dieses Werk durch die Miles-Davis-Komposition "Blue in Green", arrangiert von Jim McNeely, zu der August Zirner Ausschnitte aus der Autobiographie von Miles Davis liest.
Pressestimmen
"Weit mehr als 60 Jahre alt ist Ralph Ellisons Buch 'Der Unsichtbare'. Ein von der Literaturkritik in den Olymp der besten 100 Nachkriegsromane gelobtes Manifest gegen den US-Alltagsrassismus ... Eine gesellschaftspolitische Anklage, die in den frühen 1950ern Zustände beschrieb, die sich jetzt, im Jahr 2016, in eskalierender Polizeigewalt und den nicht weniger radikalen Reflexionen spiegeln ... McNeely schrieb und arrangierte für die Bigband des Hessischen Rundfunks jenen Soundtrack, der die sorgsam ausgewählten Fragmente aus Ellisons Roman begleitet. Ebenso lakonisch, latent nervös und zornig wie der Text ist die Partitur. Zirners Stimme klingt nach geballter Faust in der Tasche und mischt sich mit gewaltschwangerem Bop Noir ... Das Kopfhöreralbum des Jahres." (kulturnews, Oktober 2016)
"'Der Unsichtbare' von Ralph Ellison ist ein Schlüsselwerk der amerikanischen Literatur, das als antirassistischer Aufschrei verstanden wurde, als Meisterwerk der Moderne aber noch viel mehr beinhaltet. Der Schauspieler August Zirner und der Arrangeur Jim McNeely haben gemeinsam mit der hr-Bigband ein Jazz-Melodram daraus geformt, das Sprache und Musik so gut wie selten miteinander verbindet. Hier untermalt die Musik nicht den Text, sondern beide unterstützen und bestätigen sich, geraten aber auch in heftige Konflikte. Das funktioniert so gut, weil Zirner ein Gespür für musikalische Abläufe hat und niemals einfach nur über einen Background spricht: Er passt sich immer ganz zwanglos den rhythmischen und harmonischen Wendungen an. McNeely hat dazu eine Musik geschrieben, die den Solisten des Frankfurter Groß-Ensembles immer wieder Gelegenheit zur Entfaltung gibt." (Jazzthing, November 2016)